Ein Raum ohne Spielzeug. Klingt erst mal ziemlich kahl für einen Kindergarten. Es gibt weder Brettspiele, noch Bauklötze, Puppen, Malstifte, Scheren oder Autos. Aber das wir gar nichts in dem Raum haben kann man so nicht sagen, eine extra Ebene ist eingebaut, oben eine kleine Sitzecke, unten eine Höhle mit Lampe. Desweiteren haben wir dort auch Dinge wie Decken, Kissen, Klammern, Seile, Kartons, Flaschendeckel in den unterschiedlichsten Farben und Papprollen. Dinge ohne direkte Funktion, nichts Vorgefertigtes, bzw Dinge die man auch im Haushalt findet.

Durch diese „Leere“ sind die Kinder auf sich selbst, ihre eigenen Ideen, Wünsche, Stärken und Schwächen gestellt und stehen vor dem Rätsel diese Situation gemeinsam gestalten zu müssen.
Zu Beginn erinnerte mich der Raum „Spielzeugfrei“ an einen Waldorfkindergarten. Denn es scheint eine parallele dazu zu geben. Irgendwie. Da mir aber außer dieser Parallele keine Ideen zum Sinn kamen habe ich mich im Internet mal schlau gemacht. Das Projekt gelte als einer der besten „suchtpräventiven Ansätze“ im Kindergartenbereich, heißt es da. Ursprünglich kommt die Idee aus der Erwachsenenwelt. In der Suchtprävention hatte man gute Erfahrung mit dem Wegnehmen von scheinbar unabdingbaren Sachen gemacht.

Und irgendwann dachte eine Mitarbeiterin im Gesundheitsamt von Weilheim-Schongau in Bayern, warum nicht mit Kindern ausprobieren, wie das geht: Frustration und Langeweile aushalten. 1999 wurde die spielzeugfreie Zeit in die Liste „effektive Modellprojekte“ in Europa aufgenommen. Ob es wohl die Kleinen davor bewahren wird, später zu Kettenrauchern oder zu Kiffern zu werden?
In letzter Zeit ist die Stimmung speziell unter den Kollegen oft gereizt, „regt die Kinder doch mal, macht mal was, es ist doch euer Raum, bla bla bla“, denn in letzter Zeit können die Kinder dort nicht mehr spielen. Sie raufen, rennen, schreien und toben, aber als richtiges harmonisches Spiel kann man das nur mit sehr viel Fantasie bezeichnen. Natürlich gibt es auch schöne Szenen, aber diese gehen ein wenig in Lärm und Frustration unter.

Eine Kiste unter der Ebene, ein paar wacklige Stühle mit Piraten drauf, an einem Stock baumelt ein Band, die Angel, unten tost das Meer, hörst du es nicht? Die Kinder haben kuschelige Höhlen gebaut und geheimnisvolle Labyrinthe. Sie haben Züge beladen und mit Kohle beheizt. Kartons wurden zersägt, Dachziegel für ein Haus, der Finger war die Säge.

Die Prinzessinnen im erdachten Luftschloss lassen sich vom Lärm der „Arbeiter“ nicht stören, sie feiern ihr zusammentreffen. Auch die Diener der Prinzen und Prinzessinnen müssen ackern, fernab des Lärms der anderen Kinder. Vor der Tür ist die Burg, umgeben von hohen Mauern, doch innen drin kuschlig, mit Decken ausgelegt. Nicht einmal die Zombies können ihnen den Spaß am Spiel nehmen.
Ihr werdet jetzt sicher denken, wir jammern hier auf hohem Niveau, das klingt doch alles nicht so schlimm wie es auf den ersten Blick scheint. Mag sein, aber wenn man von den Kollegen nur Kritik aber nie konstruktive Vorschläge zum besser machen bekommt, wird man irgendwann garstig. Es gibt Vor- und Nachteile einer Spielzeugfreien Kinderbetreuung und ich habe mir mal die Freiheit genommen, einige davon rauszusuchen. Als Vorteil kommt mir da als erstes in den Sinn, dass Fantasie und

Kreativität gefördert werden und die Kinder viel eher in die Situation kommen aus Langeweile ins selbst erfundene Spiel zu kommen, denn wir bespielen die Kinder nicht. Desweiteren fällt der Konsumterror und die Spielzeug Überflutung weg, die Kinder erhalten viele Freiräume, die sie mit Leben füllen und die sie nutzen, ihre eigene Persönlichkeit zu entfalten und dadurch ihr Selbstbewusstsein stärken und Lebenskompetenz lernen.

Das Problem dabei ist, dass schüchterne Kinder in diesem System „untergehen“, da sie länger für eine Kontaktaufnahme zu anderen benötigen. Dadurch besteht die Gefahr der Entstehung von Aufmerksamkeits- und Konzentrationsdefiziten. Durch das Selbstbestimmte Spielen und Toben entwickelt sich ein hoher Lärmpegel, Erzieher sind gereizt, Kinder sind am Ende ihrer Kraft, der Stressfaktor steigt ins unermessliche und dann kommen auch noch Kollegen und werfen einem ein „Dann animiert die Kinder doch mal, macht mal was mit denen!“ Danke. Dazu kommt, dass defizitäre Bereiche nur unzureichend gefördert werden, da Kinder bevorzugt den für sie einfachsten Weg gehen.
Aber was wiegt schwerer? Gibt es nicht bei jedem Konzept Vor- und Nachteile? Im Waldkindergarten haben die Kinder nicht die Möglichkeiten wie ein Kindergarten mit Garten und umgekehrt, ein Kindergarten ohne Garten hat wieder andere Möglichkeiten, dann gibt es noch die Variablen im Konzept, ob Offen, Geschlossen, Waldorf, Montessori, Kirche, Fröbel oder Privat. Dann noch die Variablen bei den Kollegen, denn jeder geht eine Idee anders an, der eine nimmt es hochgradig ernst, Spielzeugfrei das heißt wir müssen dies und jenes und bla und blubb, der andere nimmt es locker, sucht sich Ideen und regt die Kinder zum bauen an ohne ihnen was aufzudrücken. Jeder ist verschieden und jeder geht verschieden mit einer Situation oder mit Lärm um.

Ich gebe für mich zu, ich liebe Spielzeugfrei. Trotz Lärm und zusätzlichem Stressfaktor macht der Raum unglaublich viel Spaß. Wenn ich die Wahl hätte, würde ich dort einfach bleiben.